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Abschwächung des §175 in der DDR

Rechtlich war die DDR bei der Behandlung von Homosexuellen deutlich liberaler als die Bundesrepublik. Schon 1968 wurde der Schwulenparagraf 175 gestrichen. Doch die Gesellschaft blieb hart und ausgrenzend, wie Peter Liebers erleben musste.

Das Gesetz war gnädig, die Gesellschaft nicht. Wie in der Bundesrepublik wurden auch in der DDR zunächst Tausende schwule Männer nach dem Paragrafen 175 verurteilt und ins Gefängnis oder Zuchthaus gesperrt. Doch 1957 urteilte das Ost-Berliner Kammergericht, „daß bei allen unter § 175 alter Fassung fallenden Straftaten weitherzig von der Einstellung wegen Geringfügigkeit Gebrauch gemacht werden soll“. Die Richter befanden, dass von homosexuellen Handlungen keine Gefahr für die sozialistische Gesellschaft ausging.

Während die Strafverfolgung homosexueller Handlungen unter Erwachsenen in der Bundesrepublik fortbestand, wurde sie in der DDR Ende der Fünfzigerjahre eingestellt. 1968 strukturierte die DDR ihr Strafgesetz um, der Paragraf 175 fiel weg – in der Bundesrepublik blieb er. Auf dem Papier hatten Schwule in der DDR mehr Rechte.

Nicht jedoch auf der Straße. Homosexuelle waren zwar staatlich geduldet. Akzeptanz oder gar Gleichbehandlung erfuhren sie weder durch das sozialistische Regime noch durch die Gesellschaft. Insbesondere in der Provinz standen Schwule und Lesben unter enormem Druck – sie konnten sich nicht outen, ohne ausgeschlossen und diskriminiert zu werden.

Die Männer aus der „Bravo“ an der Wanne aufgehängt

Peter Liebers und Jürgen Liebing, 69 und 64 Jahre alt, sind ein Ost-West-Paar. Peter wuchs in einem kleinen Ort in Sachsen auf, Jürgen „sehr provinziell“ in West-Deutschland. Aus der „Bravo“ der Schwester schnitt er Kleinanzeigen für Muskelaufbaupräparate und Motorradlederhosen aus, hängte sich die gutgebauten Männer beim Baden auf. „Da war mir klar: Das ist bei dir anders.“ Einmal vergaß er, die Bilder abzunehmen. „Ich weiß gar nicht, was meine Mutter da gedacht hat.“ Mit 21 zog Jürgen Liebing nach West-Berlin. „Schwulsein war in West-Berlin immer leichter“, sagt Liebing, der hier lange als Kulturjournalist arbeitete. „Viele flohen aus der Provinz im Westen hierher.“

Große Unterschiede zwischen Schwulsein in Ost und West, da sind sich Peter Liebers und Jürgen Liebing einig, gab es sonst nicht. „Ob in der Bundesrepublik oder in der DDR – in den kleineren Städten gab es immer eine Kneipe, wo man sich hinter dem Bahnhof traf“, sagt Liebing. „Ein dunkler Ort, wo man auch nicht fröhlich miteinander umging, sondern wo immer eine gewisse Spannung herrschte.“

Homosexualität wurde totgeschwiegen

Peter Liebers ging als Lehrer nach Ost-Berlin und arbeitete in einem Heim für Schwererziehbare. Er führte Beziehungen mit Frauen, heiratete und adoptierte eine Tochter. Die Ehe zerbrach. „Ich wusste von einigen Kollegen, dass sie schwul sind. Aber es herrschte eine große Vorsicht – so, als ob es eben noch ein Vergehen wäre, das justiziabel ist.“ Obwohl es das längst nicht mehr war. Heute glaubt er, die Menschen konnten einfach nicht damit umgehen, weil Homosexualität in der Gesellschaft totgeschwiegen wurde.

1987 entschied das Oberste Gericht der DDR, dass „Homosexualität ebenso wie Heterosexualität eine Variante des Sexualverhaltens darstellt. Homosexuelle Menschen stehen somit nicht außerhalb der sozialistischen Gesellschaft, und die Bürgerrechte sind ihnen wie allen anderen Bürgern gewährleistet.“ Ein Jahr später wurde auch der Folgeparagraf des Paragrafen 175 ersatzlos gestrichen – in die DDR waren Schwule und Lesben damit zumindest formaljuristisch deutlich besser gestellt als in der Bundesrepublik.

Quelle